Vierkaiserjahr
Dieser moderne Begriff umfaßt im engen Sinn das Jahr 69 n. Chr., im weiteren Sinn die Zeit von der Erhebung des Iulius Vindex unter Nero (Anfang 68 n. Chr.) bis zu der Anerkennung der Kaiserwürde Vespasians durch den Senat (21. /22. 12. 69 n. Chr.). Die vier Kaiser, die dem terminus zugrunde liegen sind Galba, Otho, Vitellius und schließlich Vespasian, der sich durchsetzen und eine dauerhafte Herrschaft etablieren konnte.
Das Vierkaiserjahr ist aus historischer Sicht weniger wegen der Situation mehrerer mehr oder weniger zeitgleich regierenden Kaiser interessant, es ist nicht die erste "Bürgerkriegssituation" mehrerer einander bekämpfender Machthaber und auch nicht die letzte der römischen Geschichte.
Am Vierkaiserjahr bemerkenswert sind folgende Aspekte:
a) mit Vespasians Machtergreifung erfolgte zum ersten Mal eine gewaltsame Ursupation des römischen Kaiserthrones;
Claudius' Vergiftung durch Agrippina minor, die ihren Sohn Nero damit an die Macht brachte,
kann nicht als Ursupation gewertet werden.
b) Die Wirren nach Neros Selbstmord zeigten deutlich die fehlende staatsrechtliche Absicherung der Position eines princeps
und des Prinzipates. Ab der flavischen Dynastie, die sich nach dem Vierkaiserjahr etablierte, waren die Machtwechsel der
römischen Kaiser vom Standpunkt des Gesamtimperiums aus gesehen relativ unbedeutend, die Strukturen des Staates
funktionierten z.B. auch in der unruhigen Zeit der Soldatenkaiser im Großen und Ganzen ohne existenzbedrohende Probleme.
c) Im Vierkaiserjahr zeigte sich zum ersten Mal offen, auf welche Machtbasis sich die principes bzw. imperatores hauptsächlich
stützten, nämlich auf die Legionen (bzw. auch die Prätorianer, die sich schon beim Machtwechsel Caligula/Claudius als
"Kaisermacher" zeigten, jedoch ohne den Rückhalt in den Legionen relativ wenig Aussichten auf einen nachhaltigen Erfolg ihres
jeweiligen Kandidaten besaßen). Die Truppen in den Provinzen waren direkt auf den jeweiligen Kaiser eingeschworen,
und seit Claudius erhöhte der Kaiser die Loyalität der Soldaten durch Donative d.h. Geldgeschenke bzw. regelmäßige
Solderhöhungen (was sich ab dem dritten Jahrhundert n. Chr. zu einem wesentlichen Faktor für die immer wieder drastische
Inflation entwickelte.). Die Kaiser befehligten die Legionen über Legaten, und Herrscher, die von den Truppen geschätzt
wurden, hatten eine recht sichere Machtposition.
Geschehnisse ab der Erhebung des Vindex
Galba, der von patrizischer Herkunft und Statthalter der Hispania Tarraconensis war, schloß sich im Jahr 68 n. Chr. dem Aufstand des Iulius Vindex (Legat der Provinz Gallia Lugdunensis) an, was zur Folge hatte, dass er im April dieses Jahres von den Soldaten und den Provinzialen in Hispania zum Kaiser ausgerufen wurde - die Prätorianergarde in Rom akzeptierte seine Akklamation am 8. Juni 68 n. Chr., unmittelbar vor dem Selbstmord Neros.
Allerdings verlor er bald die Unterstützung der mächtigen Kreise im Imperium, was in der Verweigerung der Rheinarmee, ihren Diensteid auf Galba zu leisten und der Ausrufung des Vitellius zum Kaiser am 1. Januar 69 n. Chr. gipfelte.
Galba reagierte mit der Adoption des ebenfalls patrizischen Calpurnius Piso, den er zum Caesar, d.h. zu seinem Nachfolger machte, woraufhin sich der in Rom agierende Otho, der sich ebenfalls Hoffnungen auf die Nachfolge Galbas gemacht hatte, am 15. Januar von den Prätorianern selbst zum Kaiser ausrufen ließ.
In der Folge dieser Ereignisse wurden Galba und Calpurnius Piso in Rom getötet und Otho trat in Konfrontation mit Vitellius, mit dessen Truppen er am 14. April bei Bedriacum (bei Cremona) zusammentraf.
Otho hatte nicht auf die Donaulegionen warten können, und erlitt eine schwere Niederlage - die nicht entscheidend sein hätte müssen, aber er suchte zwei Tage später den Freitod.
Vitellius wurde mit Vespasian konfrontiert, der seine Ausrufung zum Kaiser auf Alexandros, den Statthalter von Ägypten (Ägypten als Provinz bzw. die daraus fließenden Einkünfte waren kaiserliches Privateigentum, daher ist die Unterstützung Ägyptens hoch einzuschätzen), Licinius Mucianus, den Statthalter von Syrien, auf die Donaulegionen und natürlich auf seine eigenen Truppen, die bisher immer auf den jeweiligen Kaiser eingeschworen gewesen waren, stützte.
Seine Einsetzung zum Kaiser erfolgte sehr organisiert, am 1.Juli rief Alexandros in Ägypten Vespasian als Kaiser aus, Vespasians eigene Truppen und die in Syrien stationierten Legionen schlossen sich ihm an.
Die Donaulegionen marschierten in Richtung Rom, auf ihrem Weg besiegte der verantwortliche Legat die Vitellianer wiederum bei Bedriacum (Cremona), und nahm Rom ein.
Im Dezember 69 erkannte der Senat Vespasians Kaiserwürde an.