Antike Wagenrennen
von Helga Fröhlich
Inhalt
1. Die Ursprünge der Wagenrennen
2. Der Circus Maximus
3. Ablauf eines Rennens
4. Die Wagenlenker
5. Die Pferde
6. Organisation und Hilfspersonal
7. Wagenrennen in der römischen Gesellschaft
8. Das Wagenrennen im Film "Ben Hur"
9. Quellen und Literatur
1.) Ursprünge der Wagenrennen
Die Ursprünge der Wagenrennen sind wahrscheinlich nicht römisch, sondern hethitisch bzw. griechisch. Die Hethiter gründeten im 2. Jahrtausend v. Chr. im Osten von Kleinasien ein Reich. Aus ihrer Hauptstadt Boghazköy stammt der "Kikkuli- Text", dessen Inhalt Trainingsanleitungen für Streitwagenpferde, Rennübungen, Abhärtungskuren und Futterarten bzw. Futtermaße sind. Auch die Griechen wandten den Kikkuli- Text in der Fahr- und Reitkunst an.
In Griechenland war der von Pferden gezogene, von Menschen gelenkte Wagen ursprünglich ein Kriegsgerät. In der "Ilias" kommt der Streitwagen oft bei Gefechten zum Einsatz, wobei er eine Art Statussymbol darstellt. Anlässlich der Leichenfeier des Patroklos wird der Streitwagen aber auch bei einem Rennen verwendet, bei dem die Sieger mit Preisen ausgezeichnet werden.
Allmählich trat der Wettbewerbsgedanke bei den griechischen Wagenrennen immer stärker in den Vordergrund. Das Viergespannrennen wurde bei den 25. Olympischen Spielen 680 v. Chr. ins Veranstaltungsprogramm aufgenommen. Im Jahr 408 v. Chr., bei den 93. olympischen Spielen, wurden erstmals auch Zweigespannrennen ausgetragen.
Die griechischen Hippodrome (von griechisch: "hippos"= Pferd und "dromos"= Rennbahn) waren keine dauerhaften Gebäude, sondern wurden bei Bedarf auf ebenem Gelände angelegt. Sie bestanden nur aus ein bis zwei Wendemarken und Abhänge dienten als Zuschauersitze. Nur in Olympia gab es ein dauerhaftes Hippodrom.
Die etruskischen Wagenrennen gehen wahrscheinlich auf das griechische Vorbild zurück.
In der "tomba delle Olimpiadi" wurde eine Malerei aus dem 6. Jh. v. Chr. gefunden, die ein Zweigespannrennen zeigt. Das Gemälde zeigt, dass der kultische Inhalt des Rennens bereits zugunsten der Unterhaltung in den Hintergrund gerückt wurde und die Wagenrennen schon eine sehr populäre Zuschauersportart waren. Auch die etruskischen Rennbahnen waren keine dauerhaften Gebäude. Man weiß aus Malereien des 6. Jh. v. Chr., dass Wendemarken und Sitzreihen aus Holz waren.
Wegen ihrer großen Beliebtheit in Etrurien wurden die Wagenrennen auch in Rom früh heimisch. Die ersten römischen Wagenrennen waren mit dem Kult für eine bestimmte Gottheit verbunden und wurden von den jeweiligen Priestern organisiert. In den Anfängen dauerten sie nur jeweils einen Tag. Die beiden ältesten Feste, bei denen Pferderennen veranstaltet wurden, waren die Equirria, am 27. Februar und am 14. März zu Ehren des Mars gefeiert, und die Consualia, am 21. August und 15. Dezember zu Ehren des Gottes Consus (= Neptun, der Gott des Meeres und der Pferde). Außerdem wurden auch bei Triumphen oft Wagenrennen veranstaltet.
Neben den Wagenrennen gab es auch die Rennen der desultores. Das waren Kunstreiter, die sich während des Wettrennens, im vollen Galopp von einem Pferd auf ein nebenherlaufendes hinüberschwangen.
Diese Sportart wurde allerdings nie so beliebt wie die Wagenrennen- wahrscheinlich, weil es darin keine Berufssportler gab, sondern sie von jungen Leuten der Oberschicht ausgeübt wurde.
Der berühmte Circus Maximus, das größte Sportstadion Roms, wurde wahrscheinlich schon im 6. Jh. v. Chr. unter dem etruskischen König Tarquinius Priscus im Tal zwischen Palatin und Aventin angelegt- damals bestand er allerdings nur aus einer ebenen Fläche, um die herum Erdwälle aufgeworfen wurden.
"Damals wurde auch zum erstenmal für den Circus, der heute Circus Maximus heißt, der Platz abgesteckt. Den Senatoren und den Rittern wurden gesonderte Plätze angewiesen, wo sich jeder von ihnen Zuschauersitze errichten konnte; die nannte man fori (Sitzreihen) (...)
Die Vorführung bestand aus Pferderennen und Faustkämpfen, deren Akteure man vor allem aus Etrurien herbeigeholt hatte. Die feierlichen Spiele wurden dann zu einer jährlichen Einrichtung und wurden entweder ludi Romani (Römische Spiele) oder ludi magni (Große Spiele) genannt."
In der Kaiserzeit wuchsen sie zu zweiwöchigen Festspielen aus, die von 4. bis zum 19. September dauerten und zwei feste Bestandteile hatten: die ludi scaenici (Theateraufführungen) und die ludi circenses (Wagenrennen).
2.) Der Circus Maximus
Der Circus Maximus, der größte Circus Roms, befand sich im ca. 650 m langen und 100 m breiten Tal zwischen Palatin und Aventin.
Er hatte eine Fläche von 45 000 m2 und war damit zwölf Mal so groß wie das Colosseum. Er bot 150 000- 250 000 Zuschauern Platz- das Colosseum dagegen maximal 50 000. Bis ins späte 1. Jh. n. Chr. wurden darin auch athletische Wettbewerbe und Tierhetzen veranstaltet.
Erst in flavischer Zeit (69- 117 n. Chr.) wurden für diese Veranstaltungen eigene Gebäude errichtet. Unter Kaiser Trajan, in seinem endgültigen Ausbauzustand, war der Circus Maximus 550- 580 m lang und 80 m breit. Die Arena wurde der Länge nach von einer Trennwand (spina) geteilt, die 335 m lang und 8 m breit war.
Weitere Infos zum Circus Maximus
3.) Ablauf eines Rennens
In den griechischen Hippodromen starteten die nebeneinander aufgefahrenen Gespanne nach Entfernung einer Startschnur ("hysplex"). Nur in Olympia gab es nach 250 keilförmig gestaffelte Startboxen ("oikemata"). Danach fuhren sie um die Wendepfeiler ("nyssai") mehrere Runden; die Viergespanne zwölf, die Fohlen- Zweigespanne drei. Die Zahl der Gespanne war zum Teil recht groß.
Am Beginn des römischen Wagenrennens stand die pompa circensis, eine große Prozession, bei der die Gespanne, begleitet von Musikanten und Tänzern, in den Circus einzogen. Die pompa erinnerte an den kultischen Zusammenhang, in dem die Rennen standen.
Ein römisches Wagenrennen (missus) bestand normalerweise aus sieben
Runden (curricula, je ca. 1200m) um die Wendepfeiler (metae). Die Wagen waren meist Viergespanne (quadrigae) oder Zweigespanne (bigae). Es gab auch Drei-, Sechs-, Acht- und Zehnspänner- dabei wurden die Pferde alle nebeneinander gespannt, um einen möglichst großartigen optischen Eindruck zu erzielen. Die Geschwindigkeit des Wagens erhöhte sich durch mehr Tiere zwar nicht, die Schwierigkeit, diesen besonders in den Kurven zu beherrschen, aber um ein Vielfaches. Solche Vielpferdegespanne wurden daher hauptsächlich dazu verwendet, das Können einzelner Wagenlenker zu demonstrieren.
Seit der frühen Kaiserzeit gab es vier große Renngesellschaften (factiones), in deren Farben der jeweilige Lenker eine kurze tunica trug: eine blaue (veneta), eine grüne (prasina),
eine weiße (albata), oder eine rote (russata). Jede der vier Parteien nahm gewöhnlich mit einem, zwei oder drei Wagen teil, also starteten insgesamt vier, acht oder zwölf Gespanne.
Die Wagen starteten aus Einzelboxen (carceres). Zuerst mussten die Gespanne auf die Startboxen verteilt werden. Dazu wurde für jedes Gespann eine Kugel in eine drehbare Urne gegeben, und in der Reihenfolge, in der die Kugeln aus der Urne kamen, suchten sich die Fahrer ihre Boxen aus. Diese Entscheidung war oft sehr bedeutsam, weil die Fahrer der einzelnen Parteien oft zusammenarbeiteten, indem sie versuchten, die gegnerischen Gespanne abzudrängen und dem Spitzengespann ihrer Farbe zum Sieg zu verhelfen. Ob ihre Entscheidung günstig oder ungünstig gewesen war, erfuhren die Wagenlenker also immer erst, wenn alle Startboxen verteilt waren.
Zwischen den Wendepfeilern befand sich eine Mauer (spina), auf der neben Altären, Statuen u. Ä. auch Gestelle mit
beweglichen Holzeiern (ova) bzw. marmornen Delfinen standen. An ihnen konnten die Zuschauer erkennen, wie weit das Rennen fortgeschritten war,
weil nach jeder gefahrenen Runde ein Ei bzw. ein Delfin abgesenkt wurde.
Ein zweiter Satz von Eiern stand am Rand der Arena- wahrscheinlich zur Information der Wagenlenker.
Der Veranstalter gab das Startzeichen, indem er die mappa, ein Stück Tuch, hinabwarf. Daraufhin wurden die Tore der Startboxen geöffnet und das Rennen begann. Vor Erreichen der "Weißlinie" zwischen spina und rechtem Podium mussten die Gespanne geradlinig fahren. Danach konnte jeder seine Route frei wählen. Jeder Wagenlenker versuchte dabei natürlich, soweit wie möglich nach innen zu kommen, damit die zurückzulegende Strecke insgesamt kürzer war. Auf den geraden Strecken erreichten die Gespanne bis zu 75 km/h, vor den metae wurde das Tempo auf ungefähr 25- 30 km/h reduziert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der römischen Rennpferde lag wahrscheinlich bei etwa 35 km/h, demnach dauerte ein Rennen circa 8- 9 Minuten.
Wenn der Sieger feststand, stieg er zur Loge des Spielgebers hinauf und bekam als Preis Kranz, Palmzweig und Geld. Die Geldprämien für erfolgreiche Wagenlenker waren sehr hoch- 15 000 bis 60 000 Sesterzen- der Jahressold eines Legionärs betrug im Vergleich dazu in der frühen Kaiserzeit nur etwa 900 Sesterzen!
Die Preise stammten aus öffentlichen oder privaten Mitteln der Veranstalter. Auch die siegreichen Pferde bekamen Preise: Palmzweige, die ihnen ins Zaumzeug gesteckt wurden und vergoldete modii (Getreidemaße) mit einer Ehrenportion Gerste. Nach einer anschließenden Ehrenrunde verließ der Sieger unter dem Jubel der Menge die Arena.
4.) Die Wagenlenker
In älterer Zeit waren die Wagenlenker (aurigae) angesehene Bürger. Als die Spiele ihren sakralen Charakter verloren, wurden die Lenker allmählich Berufsfahrer, die ständig trainieren mussten. Meist waren es Freie aus den unteren Gesellschaftsschichten, Freigelassene oder Sklaven, die oft mit der Freiheit belohnt wurden. Manchmal ergriffen auch freie Bürger aus Abenteuerlust oder aus materieller Not diesen Beruf.
Der Beruf des Wagenlenkers war sehr gefährlich und schwere Unfälle waren an der Tagesordnung, doch die Erfolgreichen unter ihnen hatten eine Karriere, von der manch anderer nur träumen konnte. Die Wagenlenker konnten es trotz ihrer niedrigen gesellschaftlichen Stellung zu großem Ruhm und Reichtum bringen. Scorpus, der erfolgreichste Wagenlenker der flavischen Epoche, starb zum Beispiel mit 27 Jahren und 2048 Siegen. Damit gehörte er als einer der ersten zur Klasse der miliarii, der Wagenlenker mit mehr als 1000 Siegen. Der Dichter Martial dichtete ihm folgenden Nachruf:
"Ich bin der berühmte Scorpus, der Star des jubelnden Circus,
Anlass für deine Beifallsstürme, Rom, und dein Liebling für kurze Zeit;
die neidische Lachesis raffte mich nach neun mal drei Jahren dahin:
Als sie die Siegespreise zählte, dachte sie, ich sei schon ein Greis."
P. Aelius Gutta Calpurnianus ließ sich schon zu Lebzeiten ein Denkmal setzen, auf dem auch seine Lieblingspferde verewigt sind. Als Sieger ist immer nur das Leitpferd (equus funalis) genannt, das auf der linken Seite lief und von dessen Geschicklichkeit in den Kurven das Rennen zum Großteil abhing. Gutta errang insgesamt 1127 Siege, die auf alle vier Parteien verteilt waren. Es war unter professionellen Wagenlenkern üblich, die Parteien zu wechseln; sie orientierten sich daran, welche Partei die besten Pferde und das beste Gehalt bot.
Aus der hohen Anzahl der Siege kann man schließen, dass die Wagenlenker an einem Tag durchschnittlich drei bis viermal starteten, denn es gab in Rom nur höchstens 64 Tage pro Jahr, an denen Circus- Spiele veranstaltet wurden. An einem Tag fanden in republikanischer Zeit bis zu zwölf Rennen statt, in der Kaiserzeit wurde diese Zahl auf 22 erhöht.
5.) Die Pferde
Die meisten erfolgreichen Circuspferde stammten aus Nordafrika und Spanien, aber auch Kappadokien, Griechenland und Sizilien waren für die Zucht von Rennpferden von Bedeutung. Die afrikanischen und spanischen Pferde waren wahrscheinlich unseren heutigen iberischen und libyschen Pferden (Andalusier, Lusitanos) ziemlich ähnlich. Ihr Stockmaß lag zwischen 135 und 155 cm. Der Araber war dagegen damals noch unbekannt; die Beduinen ritten in der Antike nur auf Kamelen. Sehr wichtig waren harte, gesunde Hufe, weil es noch keinen genagelten Hufbeschlag gab. Auch die Gelenke mussten, besonders in den 180°- Kurven, starken Belastungen standhalten. Viele Pferde starben bei den häufigen Unfällen im Circus, weil Knochenbrüche praktisch unheilbar waren. Einige Pferde überstanden aber Hunderte von Rennen und verdienten sich einen ehrenvollen Ruhestand.
6.) Organisation und Hilfspersonal
Die Organisation der Rennen lag im Wesentlichen bei den Circusparteien, denen die domini factionis, die gewöhnlich dem Ritterstand angehörten, vorstanden. Sie mussten dafür sorgen, dass pro Tag etwa 700 bis 800 Pferde rechtzeitig an ihren Plätzen waren, dazu kamen noch ca. 200 bis 300 für das Hilfspersonal. Untergebracht waren die Pferde in den Stallungen auf dem Marsfeld, wo Hunderte von Pferdepflegern und Stallburschen im Einsatz waren. Außerdem brauchte man Stellmacher, Sattler, Ärzte und Tierärzte.
Im Circus selbst wurde ebenfalls viel Hilfspersonal gebraucht. Schiedsrichter, Rundenzähler und Trompeter waren im Einsatz. Die Startboxen mussten gewartet- und die Arena zwischen den Rennen in Ordnung gebracht werden.
Auch während der Rennen mussten ständig Männer bereitstehen, die im Falle eines naufragium (Zusammenstoß) die Unfallstelle von Wagentrümmern, verletzten Menschen und Pferden räumten- keine ungefährliche Aufgabe. Die Tätigkeit der sparsores- Burschen, die am Rand der Arena standen und die Fahrer und Pferde ihrer Teams mit Wasser zu erfrischen versuchten- dürfte auch riskant gewesen sein.
Die hortatores waren Reiter mit Schutzbekleidung, deren Funktion nicht ganz geklärt ist. Wahrscheinlich sollten sie vorauspreschen und das jeweils ihnen zugeteilte Gespann auf Chancen hinweisen und vor Gefahren warnen. Diese Reiter konnten sich viel flexibler als die Gespanne bewegen und leichter den Überblick bewahren, weil sie sich nur auf ein Pferd konzentrieren mussten.
7.) Wagenrennen in der römischen Gesellschaft
Die ursprünglich religiöse Bedeutung der Wagenrennen trat ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. zugunsten der Unterhaltung in den Hintergrund. Außerdem bekamen die Spiele zunehmend eine politische Bedeutung: sie steigerten die Bekanntheit und Beliebtheit des Veranstalters und verhalfen diesem damit zu mehr politischer Macht. Viele Beamte verschuldeten sich dadurch stark. Der zunehmende Missbrauch der Spiele als "Wahlkampfschlager" führte im Jahr 63 v. Chr. zur "lex Tullia de ambitu", die es verbot, zwei Jahre vor der Amtsbewerbung Spiele zu veranstalten.
Die Spiele stießen beim Volk großteils auf breite Zustimmung. In der Kaiserzeit wurden die öffentlichen Spiele eingeschränkt und die Kaiser steigerten ihre Beliebtheit beim Volk, indem sie auf eigene Kosten große Spiele abhalten ließen. Außerdem waren die Spiele für den Kaiser ein gutes Mittel, die Menge unter Kontrolle zu halten: sie halfen gegen Langeweile, dienten zum Aggressionsabbau und wenn sich das Volk mit den Spielen beschäftigte, beschäftigte es sich umso weniger mit der Politik. Die Senatoren und Ritter bekamen Plätze in der ersten Reihe und waren außerdem durch die Kleidungsvorschriften dem Anschein nach privilegiert. Frauen wurden bei den Wagenrennen übrigens nicht wie bei den munera in die obersten Reihen verbannt, sondern sie durften sie gemeinsam mit den Männern anschauen. Auch in hohen Kreisen waren Wagenrennen und erfolgreiche Lenker ein beliebtes, weil unverfängliches, Gesprächsthema.
Die Kaiser, die, wie zum Beispiel Augustus, öffentlich Interesse an den Spielen zeigten, waren beim Volk um einiges beliebter als solche, die das nicht taten (z.B. Tiberius). Die Spiele waren in der Kaiserzeit die einzige Möglichkeit zur Meinungsäußerung des Volkes. Kein Kaiser wagte, sie einzuschränken.
Kaiser Caligula, der als Pferdenarr galt, ließ besonders viele Wagenrennen veranstalten. Er war außerdem ein fanatischer Anhänger der "Grünen":
"Der grünen Partei hing er so an und war ihr so ergeben, dass er ständig im Stall zu Abend speiste und dort auch übernachtete; dem Wagenlenker Eutychus spendete er bei einem Gelage als Geschenk zwei Millionen Sesterzen. Für sein Pferd "Renner", dessentwegen er am Tage vor Zirkusspielen der Nachbarschaft durch Soldaten Ruhe anzubefehlen pflegte, damit es nicht gestört werde, stiftete er außer einem Marmorstall und einer elfenbeinernen Krippe, außer Purpurdecken und Halsbändern aus Edelsteinen auch ein Haus mit Dienerschaft und allem Gerät, damit die in seinem Namen eingeladenen Gäste möglichst vornehm bewirtet würden. Auch ein Konsulat soll er dem Pferd zugedacht haben."
Unter diesem Kaiser etablierte sich wahrscheinlich auch das Recht (inveterata licentia) der Wagenlenker, "überall herumzustreifen und zum Spaß kleine Betrügereien und Diebereien zu verüben". Diese Ausschweifungen wurden unter Nero gesetzlich verboten, obwohl dieser selbst von dem Gewohnheitsrecht der Wagenlenker Gebrauch machte:
"Nero trieb sich, um nicht erkannt zu werden, in Sklavenkleidung auf den Straßen, in den Bordellen und Wirtshäusern umher. Mit ihm zog ein wilder Haufen, der die Verkaufsstände plünderte und die Leute auf den Straßen misshandelte. Man griff so ahnungslose Menschen an, dass der Kaiser selber verwundet wurde und die Spuren davon im Gesicht trug."
Wahrscheinlich war den Wagenlenkern, die sich zu solchen Taten hinreißen ließen, ihr gewaltiger Ruhm zu Kopf gestiegen. Besonders erfolgreiche Wagenlenker wurden von ihren "Fans" gefeiert und fast vergöttert. Die Bewunderung des Publikums im Allgemeinen galt allerdings nicht den individuellen Fahrern, sondern den Parteien. Plinius der Jüngere, einer der Kritiker der Wagenrennen, äußert sich dazu in einem seiner Briefe negativ:
"Wenn jedenfalls die Schnelligkeit der Pferde oder die Kunstfertigkeit der Lenker sie interessierte, wollte ich noch nichts sagen; jetzt aber beklatschen sie nur den Dress, lieben nur den Dress, und ließe man während des Laufs, mitten im Kampf, die Farben ihre Plätze tauschen, dann wird auch ihr Beifall und ihr Interesse den Platz wechseln und sich unversehens abwenden von jenen Lenkern, jenen Pferden, die sie schon von weitem kennen, die sie beim Namen rufen. Solchen Reiz, solche Wirkung hat ein einziger wohlfeiler Rock- ich will nicht sagen: beim Pöbel, der noch wohlfeiler ist als der Rock, aber bei manchen ernstzunehmenden Männern. Wenn ich bedenke, dass sie bei einer so seichten, albernen, eintönigen Sache herumsitzen und nicht genug bekommen können, dann macht es mir doch einiges Vergnügen, dass das mir kein Vergnügen macht."
8.) Das Wagenrennen im Film "Ben Hur"
In der "Ben Hur" - Verfilmung von William Wyler (1959) gehen neun Gespanne an den Start. Das ist für ein Wagenrennen in römischem Stil in der Kaiserzeit sehr unwahrscheinlich, weil die Teilnehmer von den vier factiones gestellt wurden und die Zahl der startenden Gespanne daher immer durch vier teilbar war, also vier, acht oder zwölf. Zur Zeit Ben Hurs wurden in den östlichen Provinzen zwar noch Rennen im griechischen Stil gefahren, bei denen es keine Startboxen gab und daher beliebig viele Gespanne starten konnten, aber der Film zeigt eindeutig ein Rennen im römischen Stil.
Es findet in einem römischen Circus statt und nicht in einem mehr oder weniger improvisierten griechischen Hippodrom und der römische Statthalter Pontius Pilatus tritt als Spielgeber auf.
Absolut unvorstellbar ist, dass der römische Tribun Messala an einem solchen öffentlichen Spektakel aktiv teilgenommen haben soll. Er hätte seine politische und militärische Laufbahn und seine gesellschaftliche Stellung damit ruiniert. Das gleiche gilt für Juda Ben Hur, den Adoptivsohn eines römischen Admirals.
Dem Mythos des arabischen Pferdes folgend, das aber in Wirklichkeit damals noch unbekannt war, bekommt Ben Hur im Film die Pferde vom Beduinenscheich Ilderim. Gezeigt werden aber keine Araber sondern Lipizzaner, die, weil sie stark mit den iberischen Pferden gekreuzt sind, diesen vom Aussehen her ziemlich ähnlich sind. An einer anderen Stelle des Films zeigt Ben Hur Messala allerdings ein Pferd und sagt dazu, dass es ein Araber sei.
Die Wagen, die im Film zu sehen sind, sind nach dem Vorbild des Triumphwagens (currus triumphalis) und nicht nach dem des
Rennwagens (currus circensis) konstruiert und deswegen viel zu schwer. Die Pferde im Film zogen einen ungefähr acht Zentner schweren Wagen, der römische currus circensis wog dagegen nur einen halben Zentner, also etwa 25 bis 30 kg. Bei den Aufnahmen konnten die Gespanne daher pro Tag nur vier Rennen von jeweils einer einzigen Runde fahren (im Gegensatz zu sieben bei den Römern) und selbst da spuckten schon einige Pferde Blut. Der "griechische" Wagen des Messala, mit rotierenden Sägemessern, die die Speichen der gegnerischen Wagen zerschneiden sollten, an den Achsen, ist allerdings erfunden. Wäre jemand wirklich mit einem solchen Gefährt angetreten, wäre er sicher disqualifiziert worden.
Die Startboxen im Film sind untereinander nicht abgeteilt und dienen nur als Bereitstellungsraum für die Gespanne. Der eigentliche Start erfolgt, nach einer parademäßigen Runde im Schritt, mitten auf der Fahrbahn. Realistischerweise sind die Pferde in dieser Situation sehr nervös- die Römer haben genau das mit ihren Startboxen erfolgreich vermieden.
Die Schutzkleidung eines römischen auriga bestand aus einem Sturzhelm aus Leder oder Filz (pilleus), einem Riemenkorsett um den Rumpf und Bandagen aus Leder oder Leinen an den Beinen (fasciae). Dem am nächsten kommt die Kleidung des Titelhelden, auch wenn Ben Hur seinen Helm vor Beginn des Rennens unsinnigerweise abnimmt.
Außerdem hatten die römischen Wagenlenker ein krummes Messer bei sich, das sie in die Riemen des Korsetts steckten. Das Messer diente dazu, dass sie bei einem Sturz die Zügel, die üblicherweise um die Taille geschlungen wurden, durchschneiden konnten und so nicht mitgeschleift würden. Im Film allerdings nehmen die Fahrer die Zügel in die Hände, wie es bei Rennen im griechischen Stil üblich war. Deswegen ist es umso merkwürdiger, dass Messala nach seinem fatalen Sturz noch ein Stück mitgeschleift wird und die Zügel nicht einfach loslässt.
Das Rennen im Film dauert genau 8 Minuten und 20 Sekunden- eine realistische Zeit. Allerdings bestand ein römisches Wagenrennen aus sieben, und nicht wie Juda Ben Hur vor dem Rennen zwei Mal behauptet aus neun Runden.
Die Unfälle beim Rennen sind ziemlich realistisch dargestellt, besonders der erste, der durch eine zu eng genommene Kurve entsteht. Auch die Einsätze des Bergungskommandos und die Rundenzählung mit Delfinen sind schön zu sehen. Insgesamt sieht man in dem Film sechs Totalschäden bei neun Gespannen. Erstaunlicherweise schaffen es trotzdem vier Wagen,
die Ziellinie zu überqueren.
9.) Quellen und Literatur
Quellen
Homer, Ilias, Üs. von R. Hampe, Philipp Reclam jun. Stuttgart, ©1979
Titus Livius, Römische Geschichte, Buch I-III, Lateinisch und deutsch, Hg. H. J. Hillen,
Artemis Verlag München und Zürich, ©1987
M. Valerius Martialis, Epigramme, Lateinisch- deutsch, Hg. und Üs. P. Barié und W. Schindler,
Artemis und Winkler, Düsseldorf/ Zürich, 1999
C. Plini Caecili Secundi Epistularum libri decem; Lateinisch- deutsch, ed. H. Kasten, Heimeran Verlag München, ©1968
Sueton, Kaiserbiographien, Üs. O. Wittstock, Akademie Verlag GmbH, Berlin, 1993
P. Cornelius Tacitus, Annalen, Lateinisch und deutsch, Hg. E. Heller, Artemis Verlag München und Zürich, 1982
Literatur
P. Höllhuemer, Gladiatorenspiele und Wagenrennen im antiken Rom unter besonderer
Berücksichtigung der sozialen und historischen Bedeutung, 1999
M. Junkelmann, Mit Ben Hur am Start; in: Caesaren und Gladiatoren.
Die Macht der Unterhaltung im antiken Rom, Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein, 2000
Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Band 2, Hg. H. Cancik und H. Schneider, J. B. Metzler, Stuttgart 1997, s. v. "Circus"
H. Baumgarten, Lexikon der alten Welt Band 2, s. v. "Wagenrennen"
F. Meijer, Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod, Patmos Verlag; Artemis und Winkler Verlag, Düsseldorf/ Zürich, 2004
Original Schriftquelle :
Proseminararbeit "Wagenrennen"
von Helga Fröhlich
vorgelegt bei Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Sabine Tausend, PS "Panem et
circenses. Massenunterhaltung in der römischen Antike"
an der Karl-Franzens Universität Graz im Frühjahr 2005
Digitale Bearbeitung, Webdesign, Layout und Redaktion : Ingo Henneberg